Ein SPD-;Mitglied hatte seinen Austritt aus der SPD erklärt, mit kurzen, aber heftigen Zeilen:
…es tut mir Leid, aber ich muss wieder aus der SPD austreten… Die Situation, dass wir wieder in diesem Maße (plus 100 Milliarden – aber nix für Klima) aufrüsten und Waffen in ein Kriegsgebiet liefern, noch dazu gegen Russland…, ist für mich nicht akzeptabel. Russland, ein Land was Deutschland verwüstet hat und 25 Millionen Tote geopfert hat, nein – das geht nicht!
Hier meine Anttwort an ihn vom 16.April 2022:
Lieber XYZ,
Deine Austrittsmail ‚schreit‘ nach einer Erwiderung, meine kommt recht spät, urlaubsbedingt.
Ich finde, Du hast mit Teilen Deiner Kurzargumentation recht, mit Teilen!
- Ja, wir haben als Deutsche eine besondere historische Verantwortung gegenüber Russland. Die Historiker streiten immer noch um die genaue Zahl, aber irgendwas zwischen 20 und 40 Millionen Russen haben die Deutschen ermordet, teils mit Helfern in den überfallenen Gebieten, wie z.B. dem NS-Kollaborateur Stepan Bandera in der Ukraine. Diese besondere historische Verantwortung haben wir insbesondere gegenüber Israel und Russland, was aber nicht heißen darf, dass wir jede Sauerei gutheißen dürfen. Deutsche Regierungsvertreter haben öfters mal den Fehler gemacht zu Ungerechtigkeiten, Tötungen, sei es in den besetzten Palästinenser-Gebieten im Falle von Israel, oder Morden und anderen Sauereien Russlands zu schweigen.
- Ja, die führenden westlichen Staaten, bzw. die NATO haben zugesagte Versprechen nicht eingehalten.
„Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das Nato-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell.“ (Genscher) (https://www.youtube.com/watch?v=S5HtBba-i28 ab 02:36). Tage später beim Besuch in Moskau wird James Baker noch einmal auf diese Zusicherung zurückkommen. Bakers Worte: ‚Sie müssen nicht gleich antworten, aber denken Sie darüber nach. Angenommen, die Nato dehnt sich nicht weiter nach Osten aus, keinen Zentimeter: Wäre es dann nicht besser für die zukünftige Stabilität der Welt, wenn Deutschland in die Nato eingebunden wäre und Amerika wäre weiterhin militärisch in Europa präsent?‘ Gorbatschow antwortete: „Jede Nato-Erweiterung nach Osten wäre selbstverständlich inakzeptabel. Aber ich verstehe, was Sie meinen“. Das Ergebnis ist bekannt, die zerfallende Sowjetunion hat dem Vertrag zur Wiedervereinigung Deutschlands zugestimmt.
Diese Zusage des Westens hat nicht lange Bestand gehabt:
- 1997 Beitrittsverhandlungen mit Polen, Ungarn und Tschechien, Beitritt 1999
- 1999 neue Richtlinien der NATO für zukünftige Mitglieder der NATO mit Albanien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Nordmazedonien, Rumänien, die Slowakei, und Slowenien
- 2004 Beitritt von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien
- 2009 Mitgliedschaft von Albanien und Kroatien
- 2017 Mitgliedschaft von Montenegro
- 2020 Mitgliedschaft von Nordmazedonien
- Ja, auch (!) die NATO ist kein reines Verteidigungsbündnis, was vornehmlich Frieden in der Welt schaffen will. Lange ausgehandelte Verträge in einer fragilen Weltlage, so z.B. der ABM-Vertrag von 1972 wurde 2001 einseitig durch die USA gekündigt, wie auch das INF-Abkommen zuletzt 2019. Ebenfalls richtig ist es, dass neben Russland auch die NATO, bzw. deren Staaten völkerrechtswidrige Kriege geführt haben, die im Ergebnis zu hunderttausenden Toten geführt haben. Auch hier wurden Kinder getötet, Busse mit Streubomben beschossen, etc… Anders als bei Putin ist mir kein Artikel aus den großen Gazetten bekannt, die mehr oder weniger deutlich dazu aufgerufen haben, Herrn Scharping dafür abzuknallen, dass er einen NAATO-Angriff auf Restjugoslawien medial vorbereitet, initiiert und durchgeführt hat. Kaum mediale Öffentlichkeit hat z.B. auch die Tatsache gehabt, dass unter dem amerikanischen Präsidenten Obama mehrere hundert Tote unbeteiligte Zivilisten durch Drohnenangriffe – natürlich ebenfalls nicht legitimiert – ermordet wurden, das Ergebnis ist bekannt, er erhielt den Friedensnobelpreis.
- Nein, da stimmen wir hoffentlich überein, auch Russland ist hier kein ‚Kind von Traurigkeit‘, Russland ist auch nicht im Entferntesten ein fortschrittliches Land mit demokratischen Strukturen, es ist ein imperiales Gebilde mit teilweiser Cliquenwirtschaft und einem ausgeprägten postkommunistischen Kapitalismus, in dem es vielen Menschen noch schlechter geht als noch zu Sowjetzeiten. Kriege hat die Sowjetunion, genauso wie Russland geführt, die genaue Zahl von Kriegstoten habe ich nicht recherchieren können. Um Russland zu begreifen, muss man die lange Geschichte von verschiedenen Seiten betrachten, hilfreich sind hier auch neben den Main-Stream Medien Russland-Kenner wie z.B. Frau Krohne-Schmalz, die als ARD-Korrespondentin in Moskau versucht hat, sich in die russische ‚Seele‘ einzufühlen. Wie aufgeregt die Situation jedoch derzeit ist, kann man u.a. daran erkennen, dass das Buch „Russland verstehen“ von 2017 vom Beck-Verlag frisch aus dem Programm genommen wurde, die – kommentierte – Ausgabe von „Mein Kampf“ ist jedoch weiterhin beim Beck-Verlag zu beziehen. Fakt ist offensichtlich eine Tendenz in Russland zur Re-Nationalisierung, eine Mischung aus Opfer-Rolle und nazistischem Nationalstolz.
- Ja, auch die Ukraine ist kein Land mit ausgeprägten, demokratischen Werten, die auch so praktiziert werden. Staatschef Selenskyj, hat politische Konkurrenten 2021 unter Hausarrest stellen lassen, hat Medien (darunter mehrere Fernsehsender) – ohne juristische Grundlage – schließen lassen, etc. Und bereichert hat er sich auch. Mit seinem Oligarchenfreund Kolomoiskij zusammen stieg er in die Millionärklasse auf, verschob Geld auf die Jungferninseln und übertrug kurz vor der Wahl 2019 seine Anteile von ‚Maltex‘ an das Unternehmen von Serhij Schefir. Diese wurden nicht verkauft, sondern unentgeltlich von Selenskyi an Serhij Schefir überschrieben. Diese Transaktion war der erfolgreiche Versuch Selenskyis, vor der Präsidentschaftswahl veröffentlichungspflichtige Vermögenswerte zu verschleiern. Serhij Schefir wurde am Tag nach Selenskijs Wahl zum Chefberater des Präsidenten ernannt. Seleskyi tauchte auch folgerichtig in den „Panama-Papers“ auf, in denen dokumentiert wurde, welche Prominenten Gelder verschoben hatten. Ich schreibe das deshalb so ausführlich, weil – kein Witz – Oligarchenfreund Selenskyi für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, unterstützt durch eine Menge westlicher Regierungschefs. Unbestreitbar ist auch, dass die politische Führung der Ukraine niemals bis zum heutigen Tag das Minsker Friedensabkommen umgesetzt hat, zahlreiche europäische Außenpolitiker waren in der Vergangenheit in der Ukraine und haben die politisch Verantwortlichen aufgefordert, dies nun endlich zu tun. Die Geschichte der Ukraine ist sehr komplex und ich muss ehrlich sagen, dass ich trotz dem Willen mich dazu schlau zu machen, hier kein eindeutiges Bild habe, je tiefer man einzudringen versucht, um so verwirrender wird das Bild. Es stimmt zum Beispiel mit Sicherheit nicht, dass in der Ukraine Faschisten und Neonazis das Sagen haben, aber relativ unstrittig ist eine große rechtsradikale und neonationalistische Szene am Werk, nicht nur das Asow-Regiment, mit zumindest vormals eindeutig nazihafter Symbolik, wie dem Wolfsangel-Symbol.
- Und ja, ich bin – vermutlich ebenso wie Du entsetzt, wie die Öffentlichkeit in Deutschland reagiert, mit welcher Undifferenziertheit und Plumpheit. Selbstverständlich – das verurteile ich ebenso – kritisieren alle die fehlende Meinungsfreiheit in Russland, den angewandten ‚Neusprech‘, dass es sich um ein „Spezialkommando“ handele, wer was anderes sagt, wird sanktioniert, kritische Medien, auch Facebook, etc. werden verboten, Stiftungen, amnesty international und anderen NGO’s wird die Arbeit ebenso verboten. Beklatscht wiederum in Deutschland wird es, wenn z.B. RT (Russia today) hier nicht mehr senden darf, die Website, auch Archive nicht mehr in Deutschland erreichbar sind, Gesprächsebenen gekappt werden, Russland aus G7 ausgeschlossen wird, sowie weiteren internationalen Gesprächsformaten. Eigentlich weiß schon jeder Viertklässler, dass wenn man nicht miteinander spricht, man auch nicht über ein Beilegen von Konflikten reden kann. Aber die Situation ist hysterisch erregt und ich mag bei manchem Redner schon den weißen Sabber an den Mundwinkeln austreten sehen, wenn u.a. in der ehemals eher fortschrittlichen TAZ in Beiträgen ernsthaft darüber philosophiert wird, ob man Russen hier noch so frei rumlaufen lassen kann. Da bin ich fast geneigt den Vorschlag zu machen, dass sie einen gelben Stern mit der Aufschrift „Russe“ tragen sollen. Geht’s noch? Folgerichtig schwadroniert Baerbocki auch in einem Interview darüber, dass man Russland ruinieren werde.
- „Yo te decía que la solidaridad es la ternura de los pueblos.“ – „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ sagte Che Guevara einst und daher ist es richtig und wichtig, der überfallenen ukrainischen Bevölkerung unsere Solidarität zukommen zu lassen. Deutschland als Staat und auch ein Großteil seiner BürgerInnen verfügen über genügend finanzielle Ressourcen, um humanitäre Hilfe leisten zu können, dies ist unter moralischen Gesichtspunkten sinnvoll und angesagt. Aber auch hier gibt es Dinge, die mich persönlich sehr wütend machen:
- 188.000.000 Menschen (Einhundertachtundachtzig Millionen!) leiden regelmäßig Hunger, bzw. sind vom Hungertod gefährdet, allein 13 Millionen (!) Menschen im Süd-Jemen. Das Welternährungsprogramm hat gerade die Essensrationen für einen großen Teil halbieren müssen, weil die Geberländer zu wenig einzahlen, der widerwärtige Hungertod dieser Menschen wird wissentlich in Kauf genommen.
- Süd-Jemen ist auch für andere Dinge wichtig, es ist ein Land, das einerseits aufgrund des Klimawandels auch mittelfristig nicht mehr in der Lage sein wird, seine Bevölkerung aus eigener Kraft zu ernähren. Andererseits ist es ein geostrategisch wichtiges Land bezüglich Öl(-Transporten). Unsere neuen strategischen Energiepartner Katar und Saudi-Arabien sind hier für den Tod von 290.000 Menschen mitverantwortlich, davon knapp die Hälfte direkter Kriegstoter. Mir ist kein organisierter Konvoi der Zivilbevölkerung bekannt, der hier Hilfsgüter hingebracht hat. Da muss die 10 €-Spende kurz vor Weihnachten an „Brot für die Welt“ reichen! Eine Schweigeminute im Gemeinderat zum Süd-Jemen ist mir auch nicht in Erinnerung, im Gegensatz zur kürzlich Erfolgten für die Ukraine.
- Die russische Regierung, auch das gehört zur Wahrheit, reduziert derzeit recht deutlich die Nahrungsmittelexporte und trägt damit zur drastischen Verschärfung der Ernährungskrise bei.
- Eine menschenverachtende Doppelmoral ist ebenfalls insbesondere in Polen zu beachten, die solidarisch und bereitwillig fast 3 Millionen ukrainischer Flüchtlinge aufnehmen, gut so! Bei syrischen und afghanischen Flüchtlingen ist dies aber so gar nicht der Fall, die Behandlung derer ist mit ‚amoralisch‘ noch nett skizziert.
- Und ja, eine Aufrüstung der Bundeswehr mit einem Sonderprogramm von 100 Milliarden Euro scheint mir eher als schneller Auswurf hysterischer Diskussionen zu sein, als ein sinnvolles und geplantes Handeln. Regelmäßige Berichte der letzten Jahre über nicht funktionierende Panzer, Schiffe, Flugzeuge und Gewehre in Kombination mit dem Angriffskrieg Russlands und dem latent immer noch vorhandenen Bauchgefühl der Angst vor dem „russischen Bären“ haben den Handlungsdruck auf die Bundesregierung erhöht, der ohnehin seit Jahren von unseren NATO-Partnern aufgebaut wurde. Faktenbasiert muss festgestellt werden, dass die Rüstungsausgaben in der Zeit vom Jahr 2000 mit 26,5 Mrd. US$ bis zum Jahr 2020 mit 52,8 Mrd. US$ in Deutschland faktisch verdoppelt haben, die These der kaputtgesparten Bundeswehr ist somit eher ein netter Versuch der Rüstungskonzerne. Sinnvoll geplante strategische Ausrüstung mag daher trotzdem Fehlen, was aber an einer verfehlten Sicherheitspolitik liegen mag und erschwerend an undifferenzierten und nicht durchblickbaren Beratungsverträgen durch Flinten-Uschi und AKK.
Auch wenn ich noch viele Seiten an dieser Stelle vollschreiben könnte, möchte ich auf Deine Gründe, aus der SPD auszutreten kommen, Nein, hier sind wir vollständig anderer Meinung:
- Es ist richtig, dass die SPD über lange Zeiten die ökologischen Problemstellungen und die Herausforderungen durch den Klimawandel verpennt hat. Sonst gäbe es die GRÜNEN nicht. Dies ist am heutigen Tag aber nicht mehr der Fall, siehe Regierungsprogramm und ganz frisch das Osterpaket und das demnächst folgende Sommer-Paket. Maßgeblich aber auch in den Untergliederungen ganz konkretes Handeln, hier ist z.B. unser Ortsverein auf einem guten Weg, auch unsere Fraktion wird mit Sicherheit die Diskussion um Windkraft in Wachtberg zukünftig anders führen als in der Vergangenheit.
- Die SPD ist nicht die Partei der reinen Lehre, sondern eine Volkspartei, die meist die richtigen Entscheidungen im Sinne einer solidarischen, freiheitlichen und gerechten Gesellschaft getroffen hat. Natürlich unterliegt eine Volkspartei, die aus guten Gründen Regierungsmacht anstrebt, anderen Zwängen als eine Mikropartei. Dies hat in Einzelfällen auch zu Fehlentscheidungen geführt, zweifelsohne. Die Bewilligung der Kriegskredite 1914 gehört dabei zu den schlimmsten Entscheidungen, zu nennen ist hier auch beispielhaft der Radikalenerlass mit Berufsverboten. Dies ist jedoch aus dem historischen Kontext zu betrachten, wir hatten beim Radikalenerlass eine Situation, wo mit dem RAF-Terror eine sehr aufgeheizte Stimmung in Deutschland herrschte und die Ministerpräsidenten damals Willy Brandt sehr gedrängt hatten, dies einzuführen. Und Willy Brandt hat auch später zugegeben, dass dies nicht durchdacht war, in der letzten Konsequenz sogar ein Fehler. Die SPD ist eher Tanker und manchmal behäbig und daher manchmal Neuem gegenüber nicht so aufgeschlossen („Skatbrüder sind wir, die den Marx gelesen haben“ – Kurt Tucholsky), aber ohne die SPD wäre gesellschaftlicher Fortschritt, Emanzipation und das Ablegen des Muffs nicht möglich gewesen.
Hierbei gab es immer wieder große gesellschaftliche Gegenwehr und es war ein teilweise sehr mühevolles und langjähriges Unterfangen, ich denke hier vor allem auch an die von Egon Bahr und Willy Brandt initiierte Entspannungspolitik mit „dem Osten“. Das kam nicht so von selbst, massive Kritik nicht nur aus dem konservativ reaktionären Lager, sondern auch aus der eigenen Partei musste überwunden werden und führte auch zu Anfeindungen, Austritten, etc., prominenteste Person hier damals der MdB Hupka, der mit fliegenden Fahnen zur CDU übergetreten ist.
Konkret aber nun zum Agieren von der SPD-geführten Bundesregierung unter Scholz, die – wie ich finde – eine eher nachdenkliche und meist besonnene Politik im Russland-Ukraine Krieg macht. Im Gegensatz zu meiner Jugend, wo ich noch freudestrahlend Aufkleber mit „Schwerter zum Flughafen – Waffen für Nicaragua“ beim Angriffskrieg der Amerikaner gegen die Sandinisten verteilt habe, sehe ich die Sache heute etwas differenzierter. Ein Abschlachten der ukrainischen Bevölkerung ist nicht tolerabel, insofern sind für mich Waffen zur Lebensverteidigung moralisch legitim, auch wenn dadurch die „Büchse der Pandora“ geöffnet wird, denn es müssen hier Grenzen gezogen werden und der schriftlich fixierte Grundsatz „Keine Waffenlieferung an Kriegsparteien“ ist nicht einem naiven Narrativ geschuldet, sondern hat eigentlich gute Gründe.
„Die Beendigung des Krieges, die Stiftung des Friedens ist nicht nur ein existentielles, sondern auch ein moralisches Gebot.
Die dringend nötige, notgedrungen auf Grundlage unvollständiger Informationen vorgenommene und stets unsicher bleibende Abschätzung der konkreten Folgen unseres Handelns, inklusive seiner nicht-intendierten Nebenfolgen, wird im Gegensatz zu unserem eindeutigen moralischen Urteil keine klaren Antworten liefern. Vielleicht mit einer Ausnahme: Angesichts der Gefährlichkeit der Situation muss es die erste und oberste Pflicht aller Beteiligten sein, das Erreichen des Punktes des Kontrollverlusts unter allen Umständen zu verhindern und das heißt letztlich nichts anderes, als diesen sowohl moralisch verwerflichen als auch hochgefährlichen Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
An diesem Ziel müssen sich alle konkreten politischen Entscheidungen in der gegenwärtigen Situation letztlich orientieren, von der Entscheidung für oder gegen die Lieferung bestimmter Waffensysteme über die Justierung des richtigen Maßes an Sanktionen bis zur Frage, wie und zwischen welchen Beteiligten Gesprächsfäden gesponnen, aufrechterhalten und genutzt werden sollten. Die moralische Reputation der Beteiligten wird dabei gelegentlich eine nachgeordnete Rolle spielen müssen, und das Repertoire an Handlungsoptionen wird Akte tätiger Solidarität ebenso umfassen müssen wie politische, ökonomische und militärische Druckmittel zur Erzwingung von Kompromissen.“
(zitiert aus einem Gastbeitrag von Hans-Jörg Sigwart, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft der RWTH Aachen im Spiegel vom 29.3.22)
Was hier von den eher aggressiven NATO-Partnern als Zögerlichkeit und Unentschlossenheit der deutschen Bundesregierung ausgelegt wird, ist meines Erachtens eher ein Zeichen von gesunder Nachdenklichkeit, Verantwortung und Leidensfähigkeit. Diese Leidensfähigkeit ist sehr deutlich erkennbar, nahezu alle Gazetten wiederholen ihren diesbezüglichen Vorwurf täglich, auch andere interessierte Kräfte erhöhen ihren Druck täglich. Beispielhaft möchte ich hier den ukrainischen Botschafter Melnyk erwähnen, der nicht müde wird, die Bundesregierung – unbeschadet aller diplomatischen Grundsätze zu beschimpfen, jener Melnyk, der nicht erst durch seine Pilgerfahrt zum Grab des Faschisten Bandera (siehe oben) für Furore gesorgt hat, der „natürlich“ das nationalistische Asow Regiment lobt, etc…
„Durch das Internet ist unser Wissen breiter geworden, aber nicht tiefer“ hat Helmut Schmidt einmal gesagt und er hat – befürchte ich – sehr Recht damit. Die SPD als ehrwürdige Partei ist auch aus einem Bildungsverein entstanden. Nicht ohne Stolz hat Franz Müntefering einmal über diese Gründungszeit erzählt, dass ein Arbeiter vorgelesen hat, während die anderen Arbeiter seine Arbeit mitgemacht haben. Diese Bildungsarbeit kommt heute – auch und gerade – in der SPD oft zu kurz. Wir haben alle zu wenig Zeit und müssen Insta- und Facebook-Schnipsel in die Welt tragen, ja auch Sozis können sich diesem Trend nicht entziehen. Das kann dann auch schon mal dazu führen, dass wir eben nicht in einer MV die Ukraine-Situation diskutieren und zu einer Solidaritätsbekundung wie auch immer kommen, sondern, dass wir – vielleicht aus Zeitdruck – einfach an prominenter Stelle einen unübersehbaren Sticker setzen #standwithukraine, einer Initiative von Umweltaktivisten im Bündnis für Vielfalt, wo auch der Rüstungskonzern Daimler Mitglied ist.
Lieber XYZ,
wir brauchen Menschen, die auch und gerade kontroverse Diskussionen insbesondere innerhalb der Sozialdemokratischen Partei führen, deshalb möchte ich Dich auffordern, Deinen – vollzogenen – Schritt zu überdenken und einen Weg in die SPD zurückzufinden und mit uns zu Diskutieren und wer weiß, vielleicht gründest Du ja mal einen AK Außenpolitik im Ortsverein Wachtberg. Ich wäre dabei.
Zum Schluss möchte ich an dieser Stelle mein Leitmotiv nahelegen, welches auch bei meiner Vorstellung auf der SPD-Homepage hinterlegt ist:
Alles verändert sich, wenn Du es veränderst, doch Du kannst nicht gewinnen, solange Du allein bist. (Ton, Steine, Scherben)
Natürlich kannst Du alleine Leserbriefe schreiben, mit Deiner Frau, Deinem Umfeld diskutieren, aber wenn Du etwas zum Positiven wirklich verändern willst, musst Du wieder Mitglied der SPD werden. Glaube mir, den Gedanken des Austritts hatte ich – selbst in meiner Zeit als Ortsvereinsvorsitzender – schon öfters mal, ihn aber immer wieder aus den hier skizzierten Gründen verworfen.
Dein
Andreas Wollmann
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